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Nadine

20.11.00 Nadine

Michael Müller / Offenburger Tageblatt (22.11.00)
Wir bedanken uns bei Michael Müller für den kostenlos zur Verfügung gestellten Text.

Lichtjahre entfernt vom Zeitgeist
Songs, die wohlig unter die Haut kriechen: Nadine aus St. Louis im Offenburger Spitalkeller

Es endete wie es begann: Mit Adam Reichman als Solist. In den gut zwei Stunden, die dazwischen lagen, nahmen Reichman und seine Band Nadine die rund 60 Besucher im Spitalkeller mit auf eine faszinierende Reise durch ihren ganz eigenen Musik-Kosmos.

Schon der Einstieg war ein Faszinosum: Alleine betrat Adam Reichman die Bühne, ganz in sich versunken, sang er ein bewegendes "Still Be There" - und man saß da wie vom Donner gerührt: Die schlichten Verse dieses bewegenden Liebesliedes bekamen urplötzlich eine emotionale Kraft - mit ganz einfachen Mitteln hatte er die Leute gepackt und ließ sie nicht mehr los.

Bis die Band komplett auf der Bühne versammelt war, dauerte es bis zum fünften Song. Man fühlte sich an Gemälde von Caspar David Friedrich erinnert, die ja auch den Betrachter langsam, aber geradezu magisch in das Bild hineinziehen.

Bei Nadine ist vieles anders. Da steht als Frontmann kein Held auf der Bühne, sondern ein schmächtiges Bürschchen von einsfünfundsiebzig, Typ College-Student, sensibel, versponnen - und hoffnungslos romantisch. Eine Art Oskar Matzerath der Rockmusik, der sich hartnäckig weigert, erwachsen zu werden: "I want to go where there's nothing to do / I want to kill a little time with you / Where my favorite records play / Darling, can you take me away?" (Ich möchte dorthin gehen, wo es nichts zu tun gibt / ich möchte ein wenig Zeit mit dir totschlagen / Darling, kannst du mich wegbringen?) heißt es in "End of the Night", der Schlussnummer des regulären Sets - das hätte auch Bruce Springsteen in seinen besten Jahren nicht treffender formulieren können. Das ist zwar erst 20 Jahre her - doch für die Kids von heute Galaxien entfernt.

Erst wenn man Bands wie Nadine hört, merkt man, wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist. Dieses Quartett aus St. Louis, Missouri musiziert so weit weg vom Zeitgeist - und das tun sie mit unendlicher Hingabe; absolut unspektakulär und unprätentiös.

Kompaktes, sensibles Ensemblespiel statt mackerhaftem Star-Gehabe, stille Melancholie statt aufdringlichem Streicher-Kitsch, sparsame Instrumentalarbeit statt böllerndem Sound-Effekt, und das alles verpackt in dreieinhalb Minuten - aus diesem Stoff sind Songs gemacht, die wohlig unter die Haut kriechen. Es ist Musik, deren herbe Schönheit sich oft erst nach mehrmaligem Hinhören erschließt. Entspannte Country-Pop-Nummern wie "Hoipe Like the Rain" sind eher die Ausnahme. Doch bevor's allzu düster wird, schwingt sich Reichmans heller, leicht klagender Tenor zu bezaubernden Refrains auf, dass einem das Herz aufgeht.

Und nicht zuletzt haben sie den Mut zur Langsamkeit: Schleicher wie "Leona", "Shelter" oder "Streets" zelebrierten sie geradezu, kosten jede Note aus. Doch aus diesem gebremsten Tempo können sie unglaubliche Energie und Spannung entfalten - was nicht zuletzt auch der sensiblen Rhythmusarbeit von Bassistin Anne Tkach und Drummer Todd Schnitzer sowie Steve Rauners Gitarrenspiel zu verdanken ist, das wenn nötig ungeahnte Schärfe entwickeln kann. Paradebeispiele: das zerdehnte "Angela" oder die melancholische Jugenderinnerung "Lake Avenue" als zweite Zugabe. Mehr denn je erinnern sie an Neil Young - sowohl an seine Platten mit Crazy Horse als auch an seine countryeske "Harvest"-Phase.

Den Schlusspunkt setzte dann Adam Reichman wieder ganz alleine: "So that I Don't Miss You" sang er alleine zur Akustischen, unverstärkt und ohne Mikrofon. Das Publikum sang mit - aber ganz leise.

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